Leben und Erfahrungen
LEBEN IN DER DDR
Einen Plan zur Eingliederung der Rück- und Zuwanderer in die DDR-Gesellschaft gibt es zunächst nicht, erst ab 1965 und 1980 regeln Verordnungen das Prozedere. Die Übersiedler sollen innerhalb eines Jahres möglichst unauffällig und mit Hilfe der Betriebe und Partei- und Massenorganisationen integriert werden. Betreut werden sie von „Kommissionen zur arbeits- und raummäßigen Unterbringung der Rückkehrer und Zuziehenden“ in den Bezirken und Kreisen. Doch die Kommissionen und Betriebe sind oft überfordert, Wohnraum ist Mangelware und für viele der Übersiedler gibt es keine passenden Arbeitsangebote. Viele werden beruflich unter ihrer Qualifikation und in wenig attraktiven Branchen eingesetzt. Zudem gibt es in vielen Betrieben und Kommissionen Vorurteile gegen die Übersiedler, so dass die Integration der Neubürger durch sie teilweise eher behindert als gefördert wird. Bis 1957 werden Rück- und Zuwanderer privilegiert behandelt, erhalten bevorzugt Wohnungen und günstige Kredite. 1958 hebt die Regierung die Privilegien auf, der Argwohn in der Bevölkerung bleibt. Übersiedler dürfen in etlichen DDR-Betrieben aus Sicherheitsgründen nicht arbeiten und, aus Angst vor Sabotage, in der Regel keine Leitungsfunktionen übernehmen. In den ersten zwei bis drei Jahren nach ihrer Ankunft werden sie außerdem durch die Volkspolizei kontrolliert, häufig auch von der Staatssicherheit. 1958 verschärft eine Neufassung des Passgesetzes die Strafe für das „illegale Verlassen der DDR“. Zwar sichert im August 1964 der Staatsrat den meisten Rückkehrern Straffreiheit zu. Ein kleiner Teil von ihnen wird dennoch wegen Republikflucht oder Spionage angeklagt und verurteilt.
„ENTWEDER SEID IHR IDIOTEN ODER IHR HABT WAS VERBROCHEN!“
In der DDR-Gesellschaft haben die Übersiedler mit Vorurteilen, Neid und Ablehnung zu kämpfen. Viele Ostdeutsche können den Entschluss, von der Bundesrepublik in die DDR zu gehen, nicht nachvollziehen und verhalten sich distanziert. Sie halten die Übersiedler für dumm oder glauben, die meisten von ihnen seien Kriminelle oder Spitzel. Missgunst und Misstrauen herrschen jedoch nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch bei den behördlichen Betreuern und den SED-Funktionären. Für sie sind die Rückkehrer und Zuwanderer häufig „Feinde“ und „Halunken“, die sich erst zu bewähren haben. Ähnlich ist es
in den Betrieben. Berichte machen die Runde, dass es den Übersiedlern an Arbeitsmoral mangele, dass sie überheblich seien und unzuverlässig. Der Umstand, dass vielen Migranten ein für sie nicht geeigneter Arbeitsplatz zugewiesen wird, mag zu diesem Eindruck beigetragen haben. Wegen der Benachteiligungen und ablehnenden Haltung in der Bevölkerung empfinden sich einige Übersiedler als Menschen zweiter Klasse.
IDEAL UND WIRKLICHKEIT
In den 1950er und 1960er Jahren ist der Wunsch nach finanzieller Sicherheit und sozialer Geborgenheit das Hauptmotiv für die Einreise in die DDR. Unter dem Einfluss der DDR-Propaganda haben vor allem neu Zuziehende häufig ein unrealistisches Bild von den Verhältnissen in Ostdeutschland. Angesichts des desolaten Zustandes der Wohnungen, finanzieller Notlagen und der schlechten Versorgungslage macht sich unter vielen Übersiedlern Enttäuschung breit. Bis 1961 verlassen beinahe 50 Prozent der West-Ost-Migranten wieder das Land. Danach ist es durchschnittlich noch ein knappes Drittel. Nach dem Mauerbau kommen sie vor allem aus familiären Gründen in die DDR. Die Zufriedenheit ist bei den Rückkehrern nun größer, da ihre Entscheidungen meist gut und lange bedacht sind. Auch Übersiedler, die aus politischen Gründen ins Land kommen oder die sozialen Absicherungen in der DDR mehr schätzen, sind meist glücklich mit ihrer Entscheidung. Ernüchterung angesichts der Realität in der DDR ist aber auch nach 1961 bei vielen Übersiedlern das vorherrschende Gefühl.