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Ronald M. Schernikau

* 1960 IN MAGDEBURG †1991 IN BERLIN
Ronald M. Schernikau in seiner Leipziger Wohnung. Er erhält monatlich 600 Mark Stipendium. Mit seinem Dauervisum kann er die DDR jederzeit verlassen und ist regelmäßig in West-Berlin bei seinem Partner und bei Freunden. Seinen Kommilitonen bringt er immer wieder begehrte Dinge aus dem Westen mit.
Ronald M. Schernikau in seiner Leipziger Wohnung. Er erhält monatlich 600 Mark Stipendium. Mit seinem Dauervisum kann er die DDR jederzeit verlassen und ist regelmäßig in West-Berlin bei seinem Partner und bei Freunden. Seinen Kommilitonen bringt er immer wieder begehrte Dinge aus dem Westen mit.

„ICH VERSUCHE, SEIT ICH ERWACHSEN BIN, DDR-BÜRGER ZU WERDEN.“

Als Ronald M. Schernikau am 31. August 1989 in die DDR übersiedelt, lässt er sich auf wenig Unbekanntes ein. 1966 verlässt seine Mutter Ellen mit dem Sechsjährigen im Kofferraum illegal die DDR. Sie möchte mit dem Vater ihres Sohnes leben, der 1960 in den Westen gegangen, dort ohne Ellens Wissen geheiratet und zwei Kinder mit seiner neuen Frau bekommen hat. Mutter und Sohn können erst wieder 1972 in die DDR reisen – nachdem durch den Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik keine Strafe mehr wegen Republikflucht droht. Sie besuchen häufig Familie und Freunde in Magdeburg.

Ronald politisiert sich früh. Mit 16 Jahren tritt er in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ein. Gleichzeitig beginnt sein Weg als Schriftsteller. Mit 18 Jahren veröffentlicht er sein erstes Buch: „kleinstadtnovelle“, eine Coming-out-Erzählung aus der westdeutschen Provinz. Nach dem Abitur zieht Schernikau nach West-Berlin, tritt in die Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW) ein, wird Teil der schwulen Subkultur und lebt unter prekären Bedingungen als Schriftsteller. Er schreibt, aber kaum ein Verlag mag seine Texte veröffentlichen.

Meinen Antrag kann ich nur insofern politisch begründen, als auch in der DDR Kommunisten gebraucht werden.

Auch nach Ost-Berlin knüpft Schernikau Verbindungen. Hartnäckig verfolgt er sein Ziel, als Westdeutscher in Leipzig am renommierten Literaturinstitut Johannes R. Becher zu studieren. Ein jahrelanges, zähes Ringen mit der SEW, von deren Entsendung der Erfolg des Vorhabens abhängt, und Bemühungen bei zahlreichen Stellen in der DDR zeigen schließlich Erfolg: Auf der Grundlage des Kulturabkommens zwischen den beiden deutschen Staaten darf Ronald M. Schernikau 1986 zum Studium nach Leipzig. 

„ICH BINS!, WOLLTE ICH IMMER RUFEN: EIN DDRBÜRGER DER EINEN WESTBERLINER SPIELT DER EINEN DDRBÜRGER SPIELT! ABER ICH HIELT MICH TAPFER ZURÜCK.“

Ronald M. Schernikau ist überglücklich, als er 1986 in einen bereits laufenden Jahrgang am Leipziger Literaturinstitut einsteigen darf. Er staunt über seine Mitstudierenden, die von prekären Lebensbedingungen im Westen nichts hören wollen und die staunen über ihn, den Westler, dem zunächst ein gewisses Misstrauen entgegengebracht wird. Ohne Geldnöte arbeitet er diszipliniert für sein Studium. Sein Praktikum absolviert er in der Braunkohle.

Er schreibt an seinem erst posthum veröffentlichten Werk „legende“ und an den Texten, die schließlich unter dem Titel „die tage in l.“ beim Hamburger Konkret Literatur Verlag im Frühjahr 1989 erscheinen. Am Literaturinstitut reicht er sie als essayistische Abschlussarbeit ein, die mit 1,0 bewertet wird. Veröffentlichen kann Schernikau seine „Liebeserklärung an die DDR“ im Osten jedoch nicht. Zu genau ist sein Blick auch auf die Schwächen und Zumutungen des Systems.

Während seines Studiums beschließt Schernikau, in der DDR zu bleiben, und stellt einen Aufnahmeantrag. Nur für wenige Wochen kehrt er 1989 nach West-Berlin zurück. Am 31. August zieht Schernikau schließlich nach Berlin-Hellersdorf und tritt eine Stelle als Hörspieldramaturg beim Henschelverlag an. Die Staatsbürgerschaft der DDR erhält er am 11. Oktober 1989, kurz vor der Öffnung der Mauer am 9. November.