Aufnahmeheime
Aufnahmeheime in der DDR
Im Sommer 1953 öffnen in der DDR die ersten Aufnahmestellen und Aufnahmeheime für Rück- und Zuwanderer. Ab Herbst 1957 soll jeder Zuzügler ein Aufnahmeheim durchlaufen. Bis Mitte der 1960er Jahre entstehen in Eisenach, in Barby bei Magdeburg, in Pritzier in Mecklenburg-Vorpommern, im thüringischen Saasa und in Berlin-Blankenfelde zentrale Aufnahmeheime. Insgesamt beträgt ihre Kapazität 1.500 Plätze. Nach dem Mauerbau 1961 sinkt die Auslastung auf unter 20 Prozent.
Die Heime unterstehen dem Ministerium des Innern. Die Volkspolizei ist für die Unterbringung, Bewachung, Integration und die erste Befragung der Übersiedler zuständig. Deren sicherheitspolitische Überprüfung wird fast immer von der Staatssicherheit mit geheimpolizeilichen Methoden weitergeführt. Die Übersiedler sollen unter Beweis stellen, dass sie der DDR-Staatsbürgerschaft würdig sind. Mehr als die Hälfte von ihnen wird in den 1950er Jahren wieder in die Bundesrepublik zurückgeschickt. Unerwünscht sind Spione und Kriminelle, aber auch verschuldete Personen, „Asoziale“, Menschen mit einer hohen Erwartungshaltung und Arbeitslose. In den 1950er Jahren bleiben die Übersiedler nur wenige Tage in den Aufnahmeheimen. Mit der Zeit dauern die Verfahren immer länger. In den 1960er Jahren müssen die Menschen im Durchschnitt vier Wochen, manchmal sogar bis zu drei Monate in den Heimen bleiben. Wegen der stetig rückläufigen Zahlen der Zuwanderer wird im April 1979 ein neues Zentrales Aufnahmeheim (ZAH) in Röntgental bei Berlin eröffnet. Alle anderen Heime schließen nach und nach. Nach ihrer Entlassung aus den Aufnahmeheimen werden die Übersiedler meist in Bezirksheime verlegt, wo man ihnen Wohnung und Arbeit vermittelt.
ALLTAG IM AUFNAHMEHEIM
Mit der Ankunft müssen die Neuankömmlinge Personalausweis, Pass, Bargeld und persönliche Gegenstände abgeben. Nach maximal 24 Stunden auf der Quarantänestation, wo sie isoliert und medizinisch untersucht werden, wechseln die Übersiedler in Ein- oder Zweibettzimmer im eigentlichen Aufnahmeheim. Falls der Verdacht besteht, es könne sich um Spione oder Personen mit staatsfeindlicher Gesinnung handeln, führen die Volkspolizei und meist auch die Staatssicherheit über Wochen zermürbende Befragungen durch. Die Übersiedler erhalten keine Informationen über die Dauer des Aufenthalts, ihr zukünftiges Schicksal oder das ihrer Familienangehörigen in der DDR. Ihr Alltag ist von Langeweile geprägt. In den 1950er Jahren dürfen die Insassen die Heime tagsüber für einige Stunden verlassen. Das ist ab Mitte der 1960er Jahre verboten. Während ihres Aufenthalts sind die Übersiedler verpflichtet, bei Arbeiten im Heim zu helfen. Die DDR legt großen Wert auf die politisch-ideologische Erziehung der zukünftigen Neubürger. Deswegen finden in den Heimen regelmäßig Vorträge zu historischen, kulturellen und politischen Themen statt.
DAS ZENTRALE AUFNAHMEHEIM (ZAH) RÖNTGENTAL
Die ersten Aufnahmeheime in den 1950er und 1960er Jahren sind oft Provisorien und in einem baulich wie hygienisch schlechten Zustand. Der Unmut der Internierten entlädt sich bisweilen in Protestaktionen oder gar Gewalt gegenüber dem Heimpersonal. Bis zur Einrichtung des zentralen Aufnahmeheims (ZAH) in Röntgental bei Berlin im Jahr 1979 bleibt der Zustand der Heime sehr unterschiedlich. Danach werden die alten Heime Schritt für Schritt geschlossen, nicht zuletzt wegen der stark rückläufigen Zahlen der Zuwanderer. Das ZAH Röntgental verfügt über 117 Betten. Durchschnittlich ist es jedoch nur mit zwölf Übersiedlern belegt – um die sich 114 ZAH-Mitarbeiter kümmern. Hinzu kommen 19 hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit. Oberstes Gebot ist absolute Anonymität: Keiner der Mitarbeiter in den Aufnahmeheimen ist den Insassen namentlich bekannt. So sind die Mitarbeiter der Kulturabteilung mit Herr oder Frau Kultur anzusprechen. Auch untereinander dürfen sich die Übersiedler nur mit ihrem Vornamen vorstellen.
VOM HEIM INS HEIM
Seit Beginn der 1960er Jahre richten die DDR-Behörden zusätzlich zu den zentralen Aufnahmeheimen Bezirksheime ein. Deren Mitarbeiter sind gemeinsam mit den Räten der Stadtbezirke dafür verantwortlich, Wohnraum und Arbeit zu vermitteln und die Übersiedler in die Gesellschaft zu integrieren. Außerdem wird hier die Sicherheitsüberprüfung durch die Volkspolizei und die Stasi abgeschlossen. Die Insassen sind verpflichtet, interne kulturelle Veranstaltungen zu besuchen und in Betrieben der Umgebung zu arbeiten. Die Heimleiter sollen unter den Arbeitskräften Beständigkeit, Fleiß und Pünktlichkeit fördern. Weil sie häufig fachfremd eingesetzt werden, lässt die Arbeitsmoral der Heimbewohner manchmal zu wünschen übrig.
Einige Heime sind stark heruntergekommen: In Loburg bei Magdeburg sind die Bausubstanz und die sanitären Anlagen in den fünfziger und sechziger Jahren so schlecht, dass die DDR-Behörden um den Ruf der Heime fürchten. In Kraftsdorf bei Gera sind die Insassen in der Nacht auf sich gestellt, da die Mitarbeiter nur tagsüber vor Ort sind. Der Leiter des Heimes in Karl-Marx-Stadt möchte 1963 die Arbeit niederlegen, weil die Bewohner massive Kritik an der DDR-Regierung üben und ihren Unmut über die gesellschaftlichen Zustände äußern. Politische Diskussionen prägen auch den Alltag in anderen Heimen. Für viele Übersiedler ist es frustrierend, von einem Heim ins nächste geschickt zu werden.