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Spionage

Christel Guillaume unterhält 1985 MfS-Kader mit Geschichten aus ihrem Kundschafterleben im „Operationsgebiet“. Nur ein ausgewählter Kreis darf zuhören.
Christel Guillaume unterhält 1985 MfS-Kader mit Geschichten aus ihrem Kundschafterleben im „Operationsgebiet“. Nur ein ausgewählter Kreis darf zuhören.

KUNDSCHAFTER FÜR DEN FRIEDEN

Die genaue Zahl der Frauen und Männer, die für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im „Operationsgebiet“, das heißt in der Bundesrepublik arbeiten, ist unbekannt. Vermutlich sind es an die 3.500 Agenten, die von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) und von der Hauptabteilung II Spionageabwehr (HA II) gleichzeitig geführt werden. Unter ihnen sind Staatsbürger der Bundesrepublik, vermeintlich aus der DDR Geflüchtete und MfS-Agenten mit falscher West-Berliner oder westdeutscher Identität. Etwa drei Viertel der Angeworbenen sind Männer. Es gibt auch spionierende Ehepaare wie Christel und Günter Guillaume.

Die DDR-Agenten liefern Berichte aus Politik und Verwaltung, aus der Bundeswehr, dem Bundesnachrichtendienst, der NATO und der Industrie. Im Systemstreit zwischen Ost und West sollen sie die Absichten des „Klassenfeindes“ ermitteln und der sozialistischen Welt einen Vorteil verschaffen. Von besonderem Interesse sind Informationen über Militärtechnik, Mikrotechnologie, Kernenergie, Elektronik und chemische Patente. Viele spionieren aus Überzeugung, andere werden erpresst oder für ihre Dienste bezahlt.

Besteht die Gefahr der Entdeckung, werden die „Kundschafter für den Frieden“ in die DDR beordert. So sollen sie vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt, aber auch daran gehindert werden, Angaben über ihre Spionagetätigkeit zu machen. In der Bundesrepublik enttarnte Agenten werden gegen Spione westlicher Geheimdienste ausgetauscht oder nach Verbüßung einer Haftstrafe in den Osten abgeschoben. Nach Jahren oder Jahrzehnten in der Bundesrepublik kommen sie in eine DDR, deren Alltag sie nicht mehr kennen oder in der sie nie gelebt haben.

HEIMKEHR: ORDEN UND INTEGRATIONSPROBLEME

Die ehemaligen Kundschafter werden von der MfS-Abteilung betreut, die sie geführt hat. Da die Integration nicht immer gelingt, wird 1982 die „Arbeitsgruppe Operative Betreuung“ gegründet. Sie unterstützt die Heimgekehrten, gewährleistet aber auch deren Überwachung. Mitte der 1980er Jahre betreut die Gruppe etwa 40 ehemalige Spione. Die HVA versucht, ihnen den Komfort zu verschaffen, den sie in der Bundesrepublik gewohnt waren: Günter Guillaume etwa fährt einen Peugeot, hat ein Haus und kann oft in den Urlaub fahren. Er erhält zahlreiche Orden und Ehrungen.

Die meisten Spione finden in der DDR keine Aufgabe für sich. Der Geheimdienst setzt sie nicht mehr ein, das Leben in der DDR ist ihnen fremd. Manche wollen sogar in den Westen zurück, selbst wenn dort die Verhaftung droht.

Einige Kundschafter wie Horst Hesse treten mit vom MfS diktierten Aussagen auf Pressekonferenzen auf. Die meisten jedoch dürfen nicht von ihren Aufgaben für das MfS berichten. Erst in den 1980er Jahren werden einige zu „Kundschaftertreffen“ eingeladen, in denen sie einem ausgewählten Kreis ihre Erfahrungen schildern.

AGENTENSCHICKSALE

Günter Guillaume ist persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt, Christel Guillaume Sekretärin im Parteibüro der SPD Hessen-Süd, als sie 1974 als Spione des MfS enttarnt und verhaftet werden. Die Affäre Guillaume führt zum Rücktritt von Willy Brandt. Nach seiner Haftentlassung wird das Ehepaar Guillaume 1981 in die DDR abgeschoben. Sie leben dort privilegiert.

Horst Hesse alias GM „Jürgen“ arbeitet zum Schein für den amerikanischen Militärgeheimdienst (MID) und entwendet 1956 den Inhalt zweier Tresore. In der DDR wird der Diebstahl als großer Coup gefeiert. Hesse wird als Held herumgereicht, doch als seine Abenteuer im DEFA-Film „For Eyes Only“ 1963 verfilmt werden, geschieht dies ohne sein Wissen.

Als der MfS-Offizier Werner Stiller 1979 in die Bundesrepublik überläuft, steht der von Stiller geführte HVA-Agent Armin Raufeisen in Westdeutschland vor der Enttarnung. Mit seiner Frau und den Söhnen fährt er unter dem Vorwand eines Verwandtschaftsbesuchs in die DDR. Dort angekommen erklärt Raufeisen seiner Familie, dass sie nicht nach Hannover zurückkönnen. Familie Raufeisen gewöhnt sich nicht an das neue Leben in der DDR. Der ältere volljährige Sohn darf schließlich in die Bundesrepublik ausreisen. Ein späterer Ausreiseantrag der restlichen Familie wird abgelehnt. Ein Fluchtversuch misslingt, das MfS ist über einen Agenten beim Staatsschutz der Bundesrepublik längst über die Vorbereitungen der Flucht informiert. Die Raufeisens werden 1981 verhaftet. Armin Raufeisen wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und stirbt 1987 im Gefängnis. Sein Sohn Thomas muss für drei, seine Frau für sieben Jahre in Haft, bevor beide in die Bundesrepublik ausreisen dürfen.